Diriamba, ich komme!

Diriamba, ich komme!

Hallo aus Diriamba!

Gestern haben Gary und Shawn mich aus La Mariposa abgeholt und nach Diriamba zu meiner Gastfamilie gebracht. Gary ist der 60jährige Direktor von 1,2 Tree – die Organisation über die ich den Unterricht organisiert habe – und Shawn sein jüngerer Bruder, der gerade zum Koordinator für die Ehrenamtlichen ausgebildet wird. Die beiden kommen ursprünglich aus den USA, Gary wohnt aber seit 3,5 Jahren in Nicaragua und Shawn ist ein Lehrer der in der Welt herumreist und Englisch unterrichtet seit er 26 ist (jetzt ist er so 50 denke ich). Er hat einen Master in Englisch und Literatur und sein System ist Folgendes: Erst mal im Ausland an internationale Privatschulen zu gehen, wo er viel Geld verdient, und dann ein Jahr oder so an öffentliche Schule in armen Gegenden zu arbeiten, was er von dem vorher verdienten Geld finanziert.

Gegen zehn haben die beiden mich aufgesammelt und wir haben uns dann mit Sack und Pack in Richtung Diriamba aufgemacht. Der Weg war viel kürzer als ich dachte und auch ohne besondere Vorkommnisse. Außer das eine Mal als wir von einem Polizisten angehalten und nach unseren Papieren gefragt wurden. Und mit „wir“ meine ich eigentlich nur Gary und Shawn, ich wurde geflissentlich ignoriert. Nicht weil ich eine Frau bin, sondern weil Gary und Shawn schwarz sind und ein neues Auto fahren. So zumindest unsere Theorie.

In Diriamba angekommen haben die beiden mich dann bei Familie Lopez abgesetzt. Nardo und seine Frau Antonia sowie diverse Kinder, Enkel und sonstige Verwandte (den Überblick muss ich mir erst noch verschaffen…das sind UNGLAUBLICH viele Menschen) wohnen in nebeneinander gelegenen Häuschen. Wobei Häuschen eine schwere Übertreibung darstellt.

Man kommt an und geht ein paar alte Steinstufen hoch, die in einer Art Miniwall aus Erde und wildem Gras eingelassen wurden, weil die Häuser etwas oberhalb der Straße stehen. Oben angekommen steht man in einem Teil, der wohl am ehesten einem Hof entspricht, aber nur mit einem Maschendrahtzaun abgegrenzt und auch nicht gepflastert ist, sondern nur Erde als Basis hat. Und viel kleiner ist als Höfe bei uns…vielleicht so 30m². Da gibt es dann eine Werkbank – Nardo ist Schreiner -, ein paar Plastikstühle, ganz viele Drähte und Leinen an denen die Wäsche aufgehangen wird und einen Waschtisch sowie zwei kleine Feuerstellen zum Kochen. Ein Teil dieses Bereichs ist mit Wellblech überdacht, unter dem dann auch der Eingang zum Wohnbereich ist. Der Wohnbereich beginnt mit einer kleinen Küche rechter Hand, die auch mit Wellblech überdacht und abgegrenzt ist.

Hinter der Küche ist dann ein kleiner Wohnbereich (so ca.15m²) der nicht mehr mit Wellblech gebaut ist sondern mit etwas das an Rigips erinnert. Alle Sitzmöglichkeiten im Wohnzimmer sind mit bunten Decken und Tüchern überdeckt, an der Wand hängen zahllose Bilder von Menschen und Jesus (ganz wichtig! Jesus ist überall!) und auf jeder Ablagefläche stehen kleine Figürchen in allen Formen und Farben. Vom Wohnraum abgehend gibt es einen Schlafraum für Nardo und Antonia, für ihre Tochter Myriam mit 2 Monate altem Baby (und ich glaube Mann? Bin aber nicht sicher ob der auch hier wohnt oder nur ab und zu vorbei schaut) und Eduardo (anderer Volunteer aus Spanien) und mich.

Mein Zimmer ist ca. 2,5m x 3,5m² mit einem großen Bett (2 übereinander gestapelte Matratzen), auf dem eine Decke mit asiatischem Animemotiv a la Chin Chan liegt. Außerdem gibt es einen kleinen Tisch und einer Art Schrank. Achso, und ganz viele Nägel in den Wänden, an denen ich meine Klamotten aufhänge.

 

Die Badezimmersituation ist etwas komplizierter. Von der Küche führt eine Tür ab (und wenn ich Tür sage, meine ich aneinandergehämmerte Bretter mit Schloss), die zu einer Art Wellblech-Unterstand führt, in dem eine Dusche ist. Eine Dusche für kleine Menschen, versteht sich. Überhaupt laufe ich den Großteil der Zeit hier geduckt durch die Gegend, da meine Körpergröße doch etwas über die Standardmaße des durchschnittlichen Nicaraguaners hinausgeht. Und das mit den 5 Tibetern werde ich wohl die nächsten 8 Wochen auch pausieren – keeeein Platz!

Von der Dusche geht es dann geduckt weiter in ein anderes Miniräumchen, das man über Tag aber eher über den Hof als über die Dusche erreichen würde – weniger klettern! In dem Räumchen ist die Toilette mit Waschbecken und einer großen Tonne voll Wasser.

So, ich glaube das war so das Wichtigste. Nun zur Familie:

  • Nardo und Antonia sind Mitte 50 und nehmen dauernd Leute aus der ganzen Welt in ihrem Zuhause auf. Gary, der Direktor der Organisation, hat angeblich 2,5 Jahre hier mit der Familie gelebt. Nardo spricht auch ein kleines bisschen Englisch und gibt sich sehr viel Mühe auch langsam zu sprechen und Worte zu erklären. Überhaupt ist er der kommunikative Teil der Familie, der immer mal fragt wie es geht, Dinge erklärt und Rückfragen stellt. Nardo und Antonia haben drei oder vier Kinder. Auf jeden Fall zwei Söhne und eine Tochter, ich bin nicht ganz sicher ob es noch einen dritten Sohn gibt.
  • Ein Sohn wohnt auf jeden Fall mit seiner Familie direkt nebenan in einem Haus das etwas größer und stabiler zu sein scheint, der Werkstatt-Wasch-Chill-Hof wird gemeinsam genutzt. Den Namen des Sohnes habe ich leider schon wieder vergessen, aber er hat mindestens einen Sohn – vielleicht so 1,5 Jahre und ganz zauberhaft – und seine Frau lächelt immer ganz freundlich.
  • Ein zweiter Sohn wohnt auf der anderen Seite und heißt eventuell William. Also ein Sohn heißt auf jeden Fall William, aber ich hab keine Ahnung ob das der Sohn ist der auch nebenan wohnt. William ist auch sehr nett, aber oft etwas verwirrt wenn ich acht Mal nachfrage ob er das Gesagte noch mal wiederholen kann. Eventuell gibt es noch einen dritten Sohn, der Leo oder Leon heißt, aber da bin ich – wie gesagt – nicht ganz sicher. Vielleicht ist das auch der Mann von Myriam?
  • Myriam ist die 23jährige Tochter, die im Zimmer neben mir wohnt und vor zwei Monaten ein Baby bekommen hat. Unglaublich niedlich und benannt nach einer spanischen Jungfrau. Deren Namen ich vergessen habe. Irgendwas mit Monserat. Oh Gott, ich bin so furchtbar mit Namen.
  • Dann laufen hier noch 2 Mädchen und ein Junge herum die vermutlich so 10-12 Jahre alt sind. Zu wem die gehören? Keinen Blassen schimmer. Aber der Junge heißt auf jeden Fall Jeremy und hat den ganzen Tag ein RIESENLÄCHELN auf dem Gesicht. Sehr sympathisch!
  • Eduardo wohnt auch hier, er hat die letzten fünf Wochen Freiwilligenarbeit in den Schulen geleistet, fährt aber Montag wieder. Eduardo ist Spanier, trägt eine Mick Jagger Gedächtnisfrisur und lacht sehr, sehr gruselig. Scheint aber wirklich nett zu sein.

Eine halbe Stunde nachdem ich bei Familie Lopez angekommen bin, hat Shawn mich wieder abgeholt um mir die Intro-Tour zu geben und die Stadt zu zeigen. Wo ist der Markt, wo gibt es den besten Fruchtsaft, wo bekommt man eine Handykarte, wo gibt es das beste Essen, wo kann man gut abhängen, wo kann man Geld ziehen oder Geld wechseln, wo kann man einen Bus oder Microbus in die nächste Stadt nehmen, und und und. Am Ende sind wir noch ins Büro von 1,2, Tree gegangen, wo er mir meinen „Binder“ gegeben hat. Einen Ordner, der den Unterrichtsplan enthält und in dem eigentlich jede einzelne zu haltende Stunde ganz genau vorgegeben ist. Das ist aber mehr als Hilfe gedacht, wir können uns auch selbst Dinge überlegen. Nur der grobe Stoff, also das zB Dinge wie Farben und Zahlen gelernt werden, das sollte weiterhin dem Lernplan entsprechen. Irgendwann ist dann auch Diana dazu gestoßen, mit der ich im Vorfeld aus Deutschland den meisten Kontakt hatte. Sie ist aktuell die Koordinatorin, kommt aus Spanien und hatte gerade einen Costa-Rica Trip hinter sich, weil man Nicaragua kurz verlassen muss um sein Visum zu verlängern.

Diana hat mich dann netterweise auch wieder bis nach Hause begleitet, da ich nach der ganzen Tour etwas den Überblick verloren hatte. Wobei die Stadt in der Theorie ziemlich einfach aufgebaut ist. Nummerierte AVENIDAS von Norden nach Süden und nummerierte CALLES von Osten nach Westen. Alles ziemlich quadratisch hier. Und bunt!! Die Häuser hier sind rosa und gelb und blau und grün, was der Stadt einen wirklich schönen Flair verleiht.

Das war viel Input. Richtig viel Input. Und richtig viel neu und anders. Ich bin mit der etwas hochnäsigen Einstellung hergekommen, dass ich durch meine ganzen Reisen schon ein Gefühl dafür habe, dass Kulturen sehr anders sein können, und ich dass ich das wohl einigermaßen abkann. Kann ich nicht. Shawn hat mir erzählt dass viele Leute herkommen um zu unterrichten, weil sie aus ihrer Komfortzone raus möchten. Meine Komfortzone ist gerade so weit weg, die könnte ich nicht mal mit einem Fernglas sehen. Das Wort Kulturschock, das man so banal im Urlaub benutzt, wenn man in Spanien ist und die Wurst eine etwas andere Farbe hat, bekommt für mich gerade eine völlig neue Bedeutung und Dramatik. Ich konnte erst gar nicht einordnen, wieso es mir auf einmal ad hoc so schlecht ging, denn es war ja gar nichts Schlimmes passiert. Bis meine Freundin und Superethnologin Pia mir erklärt hat, was da gerade eigentlich abgeht. Plus zugehörigem Wikipedia-Artikel zum Thema Kulturschock natürlich. Okay, jetzt macht das irgendwie Sinn. Macht es insofern besser, als dass es hoffentlich absehbar ist. Also, Arschbacken zusammen und weiter geht’s.

An Tag 2 hatten ein paar der anderen Volunteers überlegt morgens zum Strand zu fahren, und danach wollte Alex – eine andere Deutsche, deren Klassen ich übernehme – mir ein bisschen was zum Unterricht erzählen. Da die anderen gestern Abend feiern waren (während ich praktisch im Koma lag), wird der Strandausflug mindestens verschoben, wenn er nicht sogar ganz flach fällt. Deshalb pack ich jetzt meine Tasche mit einem guten Buch und mach mich auf in die Stadt.

Hasta luego!

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