Mein erster Tag als Lehrerin

Mein erster Tag als Lehrerin

Mein erster Tag als Lehrerin – alleine. Meistens.

Jesus Maria, was eine Achterbahn der Gefühle heute. Den Morgen habe ich damit angefangen zwei dritte Klassen in La Salle zu unterrichten. Am Abend vorher habe ich mich noch gewundert wie wenig aufgeregt ich bin. Am Morgen konnte ich beim Frühstück dann kaum einen Bissen runter bekommen, so flau war mein Magen. Ich sollte immerhin kleine, gruselige Kinder unterrichten, und das ganz ohne Backup von Alex oder Gary oder sonst jemandem. Zur Aufheiterung, hier ein schönes Bild von der größten Kirche in Diriamba.

Eigentlich hat sich in den Klassen das bestätigt, was ich am Vortag beim Reinschnuppern schon gemerkt habe. Kinder – zumindest solange sie noch klein und niedlich und nicht pubertär und aufsässig sind – kann man relativ einfach begeistern und stellen nicht so riesengroße Ansprüche. Wollt ihr ein Lied singen? Jaaaaa! (Ich bin ein furchtbarer Kinderlied-Sänger, da muss ich vor der Mutter-Karriere definitiv dran arbeiten). Oder einfach das Spanische und/oder Englische Wort immer wieder wiederholen lassen, immer schneller und immer schneller. Finden irgendwie auch alle ganz witzig. Trotzdem habe ich nach den ersten zwei Stunden alleine unterrichten gemerkt, dass mir das Ganze nicht wirklich viel Spaß macht. Doof – ich habe mir wirklich gewünscht, dass ich mehr Spaß am Unterrichten habe.

Den Mittag habe ich dann im Büro mit Diana (Koordinatorin) und Ari (Volunteer aus Cataluña, Spanien) verbracht…lesen, Unterricht vorbereiten, Salsa Videos angucken und Ari hat nebenbei die Parlamentssitzung aus Cataluña laufen lassen. Echt spannend, was da gerade alles passiert. Ich habe mir sagen lassen, dass sie eine glühende Verfechterin der katalanischen Unabhängigkeit ist, habe aber selbst mit ihr dazu noch nicht gesprochen. Am Nachmittag sollte ich in den Klassen 3e und 6) unterrichten: 3e zusammen mit Gary, 6d zusammen mit Alex oder Diana – und das sollten angeblich die beiden Horrorklassen sein.

Überhaupt bin ich, was das Erwartungsmanagement angeht, irgendwie an den Falschen Teil der Organisation geraten. Gary und Diana lieben ihren Job und die Kinder, und eigentlich alles was mit dem Projekt zu tu hat. Mit den beiden hatte ich nur leider die ersten Tage kaum zu tun.

Shawn, der mir eingangs die Intro gegeben hat, hat mir eigentlich die ganze Zeit nur erzählt wie krass die Klassen sind und dass er in seinen über 20 Jahren als um-die-Welt-reisender Lehrer noch nie so schwierige und undisziplinierte Klassen gesehen hat. Yay. Und Alex war auch ziemlich gut darin die Dramatik des Unterrichts zu beschreiben. Zu ihrer Verteidigung, ihr hat man damals wohl nur von rosa Wattebäuschen erzählt & da die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt, war das für sie wohl ein recht harter Aufprall. Bei mir hat das jeden Fall dafür gesorgt, dass ich quasi von Anfang an schon Angst hatte alleine in den Unterricht zu gehen.

Klasse 3e wurde dann ihrem Ruf auch gerecht. Oh mein Gott war ich glücklich, dass Gary die Klasse hauptsächlich betreut hat und ich nur geholfen habe. Ein Haufen unausgelasteter Kinder, die nicht auf ihrem Hintern sitzen konnten und die ganze Zeit nach vorne gelaufen kamen, wenn sie etwas sagen wollten. Eine Klassenlehrerin, die die Truppe nicht im Griff hatte und deren Ansagen von den Kindern geflissentlich ignoriert wurden. Zwei bis drei besondere Spezialisten, die jeden gefragten oder ungefragten Kommentar lautstark in die Klasse gebrüllt haben und die Hälfte, die gar nicht daran interessiert war, was da vorne so passiert. Prost Mahlzeit. Diana hat mir später erzählt, dass es diese Klasse noch gar nicht so lange gibt. Vorher gab es nur die Klassen 3a-d, die allerdings viel zu groß waren, weshalb man Klasse 3e eröffnet hat. Um die neue Klasse zu füllen, hat man jeden Lehrer der anderen Klassen gebeten ein paar Schüler abzustellen. Rein hypothetisch: Wärt ihr Lehrer und müsstet 2-3 Kinder aus euren Klassen abgeben – welche Kinder wären das wohl? Ganz genau. Willkommen in Klasse 3e.

Als nervliches Wrack mit latentem Hörsturz bin ich nach dem Unterricht dann zurück ins Büro gelaufen, um mit Diana den Unterricht für Klasse 6d vorzubereiten. Die 15 Minuten Fußweg gab es eigentlich nur einen dominanten Gedanken in meinem Kopf: Warum mache ich das noch mal? Warum mache ich das überhaupt? Warum zu Teufel mache ich das hier eigentlich?

Ich kann mich nicht daran erinnern wann es mir in den letzten 5 Jahren das letzte Mal so schlecht ging wie gerade, und das Ganze ist sogar eine freiwillige Veranstaltung! Die Frage ist letztlich ja die der eigenen Motivation. Meine war vor der Reise nicht so klar umrissen, es ging in der Hauptsache darum mein Spanisch aufzubessern und dabei etwas Gutes zu tun. Bildung ist ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt – wären mehr Menschen gebildeter und toleranter, gäbe es auf jeden Fall wesentlich weniger Probleme auf der Welt. Und über diese Gedankenkette bin ich dann irgendwann beim Englischunterricht in Nicaragua gelandet. Und die große Frage ist jetzt: Wie sehr muss man sich verpflichtet fühlen so ein Programm durchzuziehen? Wie viel Zeit gibt man sich selbst, um sich zu akklimatisieren und wann zieht man die Notbremse? Wie groß ist das Bedürfnis seine eigenen Grenzen zu testen und wie weit muss man seine Grenzen überschreiten, bis man sich selbst irgendetwas bewiesen hat? Wie lange ist es nur eine etwas harte Eingewöhnungszeit und ab wann geht es an die Substanz? Fragen über Fragen, die ich mir die letzten Tage gestellt habe. Plus natürlich immer wieder die Frage, was eigentlich mein Problem ist. Denn etwas fassbar Dramatisches ist ja eigentlich nicht passiert. Aktuelle Theorie ist, dass es eine Ansammlung von kleineren Dingen ist, die sich gerade anhäufen und anfühlen wie ein Berg der Größe des Mount Everest.

Angekommen im Büro hat Diana hat viele tolle Vorschläge zum Unterricht in 6d gemacht. In meinem Kopf war die ganze Zeit nur der Gedanke „Oh Gott, die sollen genauso schlimm sein wie 3e und sind dazu noch älter. Wie furchtbar!“, sodass ich mehr so im lächeln-und-nicken-Modus war, darauf bedacht dem Drang zu wiederstehen, einfach nur wiederholt mit meinem Kopf auf die Tischplatte zu hauen. Diana hat wohl gemerkt dass etwas nicht stimmt und angeboten dass sie die Klasse machen kann, wenn ich nur zugucken oder nach Hause und mich ausruhen möchte. Das Angebot habe ich dankend angenommen, aber gesagt dass ich gerne zusehen möchte. Und die Frau ist wirklich der Knaller. Mit ihren 23 Jahren ist der Job hier der Erste den sie nach ihrem Studium macht – und den ganzen Laden zu koordinieren ist beileibe kein einfacherer Job. Sie geht so auf im Kontakt mit den Kindern, überlegt sich Spiele, hat Ideen – und hatte natürlich auch die 6d soweit im Griff, wie es denn mit so einer Klasse geht. Zugegeben, es hilft natürlich wenn man als Spanierin fließend und im Slang mit den Schülern sprechen kann. Trotzdem habe ich sehr deutlich den Unterschied zu mir selbst gesehen. So stell ich mir auch ein bisschen meine Freundin Carina im Unterricht vor. Wahnsinns-Lehrerin halt.

Als ich Diana nach dem Unterricht darauf angesprochen habe wie toll sie das gemacht hat, hat sie nur gemeint dass das natürlich am Anfang auch nicht so war. Sie macht das Ganze ja auch schon ein Dreivierteljahr. Trotzdem habe ich mir dann ein Herz gefasst und ihr gesagt dass ich gerade etwas zweifle, was das Unterrichten angeht. Dass es mir bisher nicht so viel Spaß macht, wie ich es mir gewünscht hätte, und dass ich das Gefühl habe nicht so sehr darin aufzugehen, wie sie es zum Beispiel tut. Auch wenn ich natürlich erst ganz am Anfang bin. Ihre Reaktion war ganz großartig. Es scheint doch so zu sein dass oft Volunteers, die nicht Spanisch Muttersprachler sind, am Anfang besonders viele Schwierigkeiten haben. Sie hat angeboten in Klassen mitzukommen, den Plan umzustellen oder mir noch andere Hilfestellungen zu geben. Mir hat es einfach gut getan, mal mit jemandem on-the-ground dazu zu sprechen – das war ja bisher eher so eine Lonesome-Rider Veranstaltung. Sie hat mir außerdem erzählt, dass sie bald Erwachsenen-Unterricht starten wollen, und ob das nicht eher etwas für mich wäre. Ich glaube das könnte tatsächlich etwas sein, denn Menschen zu unterrichten die auch Lust haben zu lernen, stelle ich mir wesentlich einfacher und befriedigender vor.

Das Ende vom Lied ist, dass ich mir den Spaß noch ein paar Tage anschaue, quasi die Woche voll mache. Es ist ja auch noch unglaublich früh, um wirklich ein Fazit ziehen zu können. Am gleichen Abend habe ich mich hingesetzt um die folgenden Unterrichtsstunden vorzubereiten – das hat mir wiederum ziemlich viel Spaß gemacht. Ob das daran liegt dass ich meinem Frust mal Luft machen konnte? Oder dass es alleine für mich war, statt alleine vor einem Raum voller schreiender Kinder? Ich weiß es nicht, aber ich werde es vermutlich in den nächsten Tagen herausfinden.

Nach der obligatorischen Hausaufgabenkorrektur geht’s jetzt erst mal zu Gary nach Hause, Game of Thrones gucken mit allemann. Und Popcorn!

Hasta luego!

Lia

    

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